Pendulum

Staatliches Textil- und Industriemuseum

Augsburg / 2. Biennale der Künstler im

Haus der Kunst München:

KUNST I STOFF

2015

 

Tanzperformance mit Videoprojektion /

HD-Film, 16:00 Min.

 

 

 

 

 

 

 

 

>> Lebenszeit-Teppiche - Work in progress

>> Musterbuch - Semiotik der Icons

>> Pendulum - Tanzperformance-Kostüme

Zum Konzept:

 

In der 16-minütigen Tanzperformance von Eva Ruhland werden „unterschiedliche Zeitpatterns in physische Bewegungsformen übersetzt“*. Die drei Protagonisten/Parzen verkörpern als Parca, Nona und Dezima drei verschiedene Lebens- und Arbeitszeitmuster, die von der linearen, natürlichen Zeit (Horen) über die verordnete Zeit (Stechuhr) bis hin zur diskontinuierlichen Zeitachse (Gegenwart) reichen. Die Muster und Icons der Videoprojektion bzw. der drei Rollen-Kostüme korrespondieren mit den genannten Zeitebenen.

 

„Immanuel Kant rechnet die Zeit zu den apriorischen Bedingungen menschlicher Anschauung, die jeder einzelnen Erfahrung vorausgehen. Die konkrete Wahrnehmung sowie der gesellschaftliche Umgang mit der Zeit variieren jedoch zum Teil erheblich von Epoche zu Epoche, von Kultur zu Kultur, von Schicht zu Schicht. Hier setzt Eva Ruhland an, die sich aufmacht, verschiedene Zeitkonzepte des Menschen in Vergangenheit und Gegenwart künstlerisch zu erkunden.“*

 

Die Tanzperformance entstand im Rahmen eines umfangreichen Werkkomplexes mit drei je 4 x 5 m großen Lebenszeit-Teppichen zur Sonderausstellung KUNST I STOFF für das Staatliche Textil- und Industriemuseum Augsburg.

 

Die bislang nur als HD-Video gezeigte Tanzperformance wurde anlässlich der Eröffnung der 2. Biennale der Künstler im Haus der Kunst München am 7. August 2015 erstmals live aufgeführt.

 

* Zitate aus dem Text von Dr. Karl Borromäus Murr, erschienen im Katalog zur Ausstellung KUNST I STOFF

Foto: PERMAT / Fotografie & Design / Caro Dentler / www.permat-design.de

 

 

Textauszug aus dem Katalog der Ausstellung

KUNST  I  STOFF des Staatlichen Textil- und Industriemuseums Augsburg von

Dr. Karl Borromäus Murr

 

„(...) Was Ruhland in ihren drei Teppichen noch epochal differenziert, legt sie in der Tanzperformance „Pendulum", die ein Videofilm dokumentiert, zeitlich in ein Kunstwerk zusammen. Schnell wird klar, dass die drei bis hierher diachron betrachteten Epochen, aus der Perspektive der Gegenwart betrachtet, auch synchrone Umgangsweisen mit der Zeit darstellen können. So bleibt der heutige Mensch hin- und hergerissen zwischen verschiedenen Zeitmodi, die er oftmals nur noch mit Mühe synthetisieren kann.

 

In der Zeiterfahrung der Gegenwart liegt ein rätselhaftes Paradox: Denn trotz aller technischer Beschleunigung und trotz der bedeutend längeren Lebenserwartung scheint die Ressource Zeit immer knapper zu werden. Nicht selten ist der heutige Mensch mit einer fordernden Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen konfrontiert. Hartmut Rosa hat in seinen soziologischen Studien zur Beschleunigung die inneren Widersprüche heutiger Zeitläufe eindrucksvoll skizziert.

 

Ruhlands Tanzensemble - zwei Frauen und ein Mann - setzt die verschiedenen Zeitstrukturen, die sie sich im Verlauf der Performance im Sinne einer Individuation aneignen, in Bewegung um: von fließend-organisch über progressiv-mechanisch bis hin zu diskontinuierlich gesteigertem Tempo. Spielend übersetzt der Tanz verschiedene Zeitabläufe in Bewegungsabläufe.

 

Den unbeugsamen Takt der Zeit deutet im Hintergrund der Bühne ein riesiges Pendel an, das, durch ein Ticken akustisch unterstützt, seine Beschleunigung immer weiter erhöht. Die Temposteigerung mündet schließlich in ein Finale Furioso, bei dem die ungemein akzelerierte Bewegung des Pendels in ein Standbild übergeht und das Ticken der Zeit nur noch als Dauerton zu hören ist. Ruhland deutet hier einen Zustand an, den der Geschwindigkeitstheoretiker Paul Virilio als „rasenden Stillstand“ bezeichnet hat - ein Zustand, der sich bei aller Tempozunahme nur mehr als lähmende Stauung darstellt.

 

Dass ein solcher Akzelerismus nicht nur der Gesellschaft und dem Leben abträglich ist, sondern auch die Individualität des Menschen nachgerade auszulöschen vermag, dieser Schluss bleibt jedem Zuschauer nach dem abrupten Ende der Performance selbst überlassen. Wie auch die Herausforderung, in dem von Hans Blumenberg analysierten Urkonflikt die Mitte zu finden:

zwischen eigener Zeit, die man selbst bestimmen kann, und fremder Zeit, die meiner Verfügung entzogen ist. In beiden Fällen jedoch erledigt die Zeit ihr niemals endendes Geschäft:

sie vergeht.“