Work in progress

Staatliches Textil- und Industriemuseum Augsburg:

KUNST I STOFF

2015

 

3 Lebenszeit-Teppiche,

je 4 x 5 m, Polyester

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Foto oben: PERMAT / Fotografie & Design / Caro Dentler / www.permat-design.de

 

 

Fotos der Teppiche: Felix Weinold / http://felixweinold.de

 

 

Zeittafel 21. Jahrhundert:

 

Modell Dezima (Ludusteppich) Verhältnis Zeit : Flächenmaß

Durchschnittliche Lebenserwartung:

80 Jahre auf 20 m2

 

 

Work in progress

 

Modell Dezima (Ludusteppich)

2015

Lebenszeit-Teppich, Polyester, 4 x 5 m

Zeittafel 1. Hälfte 19. Jahrhundert

 

Modell Nona (Stechuhrteppich) Verhältnis Zeit : Flächenmaß

Durchschnittliche Lebenserwartung:

50 Jahre auf 20 m2

 

 

Work in progress

 

Modell Nona (Stechuhrteppich)

2015

Lebenszeit-Teppich, Polyester, 4 x 5 m

Zeittafel 15. Jahrhundert

 

Modell Parca (Horenteppich) Verhältnis Zeit : Flächenmaß

Durchschnittliche Lebenserwartung:

30 Jahre auf 20 m3

Work in progress

 

Modell Parca (Horenteppich)

2015

Lebenszeit-Teppich, Polyester, 4 x 5 m

Textauszug aus dem Katalog der Ausstellung

KUNST  I  STOFF des Staatlichen Textil- und Industriemuseums Augsburg von

Dr. Karl Borromäus Murr

 

„(...)Zu den Teppichen: die jeweils 20 Quadratmeter großen Stücke verdanken ihr charakteristisches Aussehen einer grafischen

Gestaltung, die sich aus einer umfangreichen Reihe von geometrisch und farblich stark reduzierten Symbolen speist. Ruhland hat hier einen ganz eigenen Kosmos von Symbolen entworfen, die verschiedene Zeitdimensionen des menschlichen Lebens repräsentieren. So steht etwa eine Mohnblüte für den Schlaf. Eine Getreideähre, Wassertropfen und Bananen – sowie Kartoffelblüten versinnbildlichen Nahrungsmittel. Zahnräderartige Symbole veranschaulichen die Arbeit. Und schachbrettartig angeordnete Icons, die an Spielkartenmotive erinnern, deuten auf den Menschen als Homo Ludens. der sich in seiner freien Zeit der Muße hingibt.

 

Im Industrialisierungs-Teppich finden sich Symbole aus den Flaggen Indiens, Paraguays und Chinas, um die damals einsetzende Globalisierung mit all ihren Schattenseiten anzudeuten. Die Zeitdimensionen menschlichen Lebens solchermaßen auf Stoff zu übertragen, greift auf die altorientalische Vorstellung des Teppichs als Garten zurück, der beispielsweise in Persien die Weltordnung symbolisierte. In dieser Kultur diente der Garten in seinem Inneren - sowohl auf der realen als auch auf der rituellen Ebene - wesentlichen Vollzügen des Lebens wie dem Arbeiten, Wandeln, Essen, Ausruhen oder Schlafen.

 

Die Ruhlandschen Teppiche stellen demnach drei ganz verschiedene Weltordnungen in ihrer jeweiligen zeitlichen Verfasstheit dar. Je nachdem, wie stark welche Dimension des menschlichen Daseins in den einzelnen Epochen vertreten war oder ist - Ruhland bildet diese Verhältnisse proportional auf ihren Teppichen ab. Demzufolge zeigen sich je nach Korrelation von Arbeitszeit, Lebenszeit, Muße und Weltzeit andersgeartete Musterkonstellationen. Während sich auf dem Mittelalterteppich beispielsweise eine Lebenserwartung von nur 30 Jahren ablesen lässt, spiegelt das textile Pendant der Gegenwart eine Lebensspanne von 80 Jahren.

 

Die Teppiche zeigen jedoch noch viel mehr: so vor allem die seit der Neuzeit feststellbare Verschiebung der verschiedenen Zeitdimensionen von einer an den Rhythmus der Natur gebundenen und religiös getakteten Lebensweise bis zum schmerzlichen Auseinanderdriften von individueller Lebenszeit und universaler Weltzeit in der Gegenwart. Zeigt der Mittelalterteppich noch eine integrierte, organische, wenngleich hierarchisch strukturierte Weltordnung, in der Arbeits- und

 

 

 

 

 

 

Lebenszeit noch zusammenfallen, emanzipiert sich in dem Teppich der Jetztzeit zunehmend der Konsum von Freizeit vom Vollzug der Arbeit.

Während im Mittelalter noch die kosmologisch verstandene Natur die übersichtlichen Lebens- und Arbeitsrhythmen bestimmte, leidet die unübersichtlich gewordene Gegenwart unter dem ökonomisch angeheizten Druck dauernder Selbstoptimierung, die sich bisweilen nur mit Zuhilfenahme von Drogen - siehe Ruhlands symbolische Andeutung eines voll aufgeblühten Schlafmohns - bewerkstelligen lässt.

 

Diese Selbstoptimierung wird unentwegt befeuert von einer rasend beschleunigten Globalisierung, die auch als eine Epoche der ebenso definitiven wie unerbittlichen Synchronisierung von Zeit gedeutet werden kann. Und eine Erkenntnis zieht sich trotz aller Unterschiede durch alle drei Epochen-Teppiche hindurch, die immer begrenzt sind: nämlich die Einsicht in die definitive Endlichkeit der Lebenszeit.

 

Was Ruhland mit ihren Teppichen gelingt, ist das Paradox, die niemals ruhende Zeit in begehbaren Bildern festzuhalten. Die

Kunsterfahrung bleibt zudem nicht auf den Augen schein beschränkt, sondern wird zu einer entdeckungsreichen Passage gemessenen Schrittes. Der interessierte Betrachter mag die Teppiche unbewusst oder rituell abschreiten oder sich gar auf ihnen niederlassen. Ein textiler Grund verlangsamt auf jeden Fall die Geschwindigkeit des auf ihm Gehenden, verführt diesen regelrecht zur Entschleunigung.

 

Im besten Falle bieten sich die Ruhlandschen Teppiche als eine erkenntnisfordernde „Heterotopie" an. Darunter versteht Michel Foucault einen Ort, der „mehrere Räume" zusammenbringt, „die eigentlich unvereinbar sind". Als ältestes Beispiel für eine Heterotopie führt Foucault den idealen Garten an, um, noch im selben Gedankengang, den orientalischen Teppich als getreues Abbild genau des paradiesischen Gartens zu erläutern. „Der Garten ist ein Teppich, auf dem die ganze Welt zu symbolischer Vollkommenheit gelangt, und zugleich ist er ein Garten, der sich durch den Raum bewegen kann.

 

„ Der idealen Ordnung symbolischer Vollkommenheit setzt Ruhland mit ihrer Teppich-Serie eine reale Ordnung der jeweiligen Zeitverfassungen entgegen, die einer je eigenen chronologischen Ökonomie folgen. Gleichwohl hält die Künstlerin am Gedanken der Ordnung fest, die sie geradezu auf Textil bannt. Es ist erstaunlich, wie unterschiedlich sich die drei Epochen ästhetisch darbieten, deren zeitliche Summe Ruhland jeweils zieht.